Jürgen Weichard
Ausstellungseröffnung Kunstverein Kaponier Vechta, 20.02 2015
Jette Slangerod stellt die Frage: „was ist ein Bild?“ Suchen wir eine Antwort: Sicher ist der Begriff nicht so alt wie die Steinzeit- Zeichnungen aus französischen und afrikanischen Höhlen. Denn an denen fällt auf, dass sie keinen Rahmen kennen, der einen Raum und damit ein Bild andeuten könnte. Es ging den frühen Künstlern um Abbildung, vielleicht um Magie oder Religion, nicht um Bild.
Stationen, die am Ende zum gerahmten Bild geführt haben, sind vielleicht die Porträtmalerei der Antike und die nach der religiösen Wende daraus entwickelte oder darauf folgende Ikone, wenn hier auch das inhaltliche Abbild dominiert hat.
Erst die frühe Landschaftsandeutungen Giottos und seiner Zeit im 14. Jahrhundert, die die Perspektive und dafür einen Rahmen entwickelt haben, schufen das Rahmenbild.
Kurz gesagt, es existiert erst seit kaum 700 Jahren. Das war praktisch für Künstler, Händler und Auftraggeber, aber schloss nicht aus, dass – nicht zuletzt wegen der Repräsentation – Wände ausgemalt und ihre rahmenfreien Darstellungen den unendlichen Raum einbezogen haben. Die Höhepunkte sind bekannt – Michelangelo, Raffael, Tiepolo.
Die totale Verwandlung der Bildauffassung um die Wende des 19. ins 20. Jahrhundert – von Cezanne bis Matisse und Picasso – hat den Weg bereitet für neue Raumvorstellungen, die zu Mondrian und Malevich führten:: Mondrian abstrahierte die Grachten-Landschaft zu geometrischen Konstruktionsbildern, Malevich versammelte die ganze Malerei, in einem Brennpunkt – in seinem schwarzen Quadrat – er trennte sich – vorübergehend von der gesamten gegenständlichen Kunstauffassung.
Das war nun freilich eine Falle, denn danach konnte es eigentlich mit der Malerei nicht weitergehen. Eine Generation jünger entdeckte die Weite der amerikanischen Landschaft als Spielfeld und gebar landart, und einige von ihnen suchten und fanden den Weg, diese Idee auch auf die Leinwand zu bannen, und entwickelten die Colorfield- Malerei. Landart und Colorfield-Malerei vertragen keinen Rahmen – sie meinen einen Raum, der größer ist, als das Auge ihn erfassen kann.
Vor diesem Hintergrund hatte sich Jette Slangerod an der Konvention gestoßen, dass Bilder rechteckig sein müssen, und hatte sich entschlossen, den rechtwinkligen Rahmen zu vermeiden und trotzdem ihre Arbeiten an die Wand zu heften. Weg von den Schnüren, weg von den Begriffen, hin zu einer Offenheit im Arbeitsprozess ohne zwanghafte Eingrenzung, ohne Konvention des rechten Winkels, ohne die tradierten Ansprüche der Besucher zu berücksichtigen, etwas, das sie sehen, schnell und einfach in Begriffe überführen zu können.
Aber die Künstlerin war sich im Klaren, dass sie sich andererseits auch nicht an die absolute Willkür, an das Chaos verlieren darf. So hat sie für ihre Motivreihen immerhin thematische Verbindungen geschaffen, ohne diese im strengen Sinne verbindlich zu machen. Die Titel ihrer Arbeitsgruppen öffnen inhaltliche Beziehungen der Malerin zu den Arbeiten der jeweiligen Werkgruppe, ohne aber eine Klärung herbeizuführen; das Rätsel dieser Werke bleibt erhalten.
So werden die großen Acryl- Malereien auf Nessel „Visitors“ genannt, eigentlich ein leicht deutbarer Begriff, doch lässt Jette Slangerod offen, ob sie damit die Bilder im Raum meint oder den Besucher, der vor dem Bild Platz nimmt, oder alle, die bei einem Besuch das Bild ansehen. Das Format dieser drei Bilder, auch ihr Inhalt machen deutlich, dass im Grunde das Bild als Visitor zu verstehen ist: Es ist zu groß, um ständig seinen Platz an diesem Ort oder in einer Galerie zu finden; seine Größe entspricht einer Wandmalerei – das wäre das Gegenstück –das Bleibende, das dauerhaft auf einer Wand sitzt. Das Material, auf dem das Bild aufgetragen ist – Nessel – erlaubt, das Bild zu transportieren und die Wand vor einem neuen Anstrich vor der nächsten Ausstellung zu bewahren.
Die „Visitors“ zeigen wuchernde Formen, entstanden und entwickelt aus spontan und emotional gesetzten Pinselstrichen, denen in Sekunden weitere zur Seite gemalt werden, bis sich z.B. vegetative Strukturen ergeben. Das ist eine Art heftiger Malerei ohne eine Beziehung zu einem Gegenstand, aber in sich voller Rhythmik, Farbgefühl und Empfindung. Die Konturen, soweit davon gesprochen werden kann, assoziieren neben Pflanzlichem zuweilen auch körperliche Formen eines Tieres, freilich in einer Größenordnung, die über das natürliche Maß hinausgeht.
In jedem Deutungsfalle sind die Erscheinungen dieser Visitors befremdlich bis unheimlich, auch wenn in ihrer strukturalen Ausdehnung ein Zug „Entweichen“ aus dem Raum zu stecken scheint. Wollen die Visitors gehen ? Sie sind letztlich nur Besucher.
Haben wir hier eine Position heftiger Malerei vor Augen, so sehen wir in den anderen Bild-Objekten eine Art von Farbfeld-Malerei, Die ursprüngliche amerikanische Prägung dieser Malerei war für Jette Slangerod einleuchtend: Malerei ist ein sensibler Umgang mit Farben, ein Abgleichen und Annähern von Farbtönen, die nur wenig Unterschied zeigen, aber in sich – sozusagen unter der Oberfläche eine Bewegung entfalten, die strukturale Züge annehmen kann. D.H. die Oberfläche muß durchschaut werden.
Gleichzeitig geht es der Künstlerin um die Kontur, die wir als organisch, amorph, unregelmäßig bezeichnen würden, nicht ganz frei vom Kreis, aber doch frei genug, von ihm abzurücken.
„Voxwaerken“ nennt Jette Slangerod diese Werkgruppe, was so viel heißt wie
„Wachstumsschmerz“: Alle Arbeiten haben neben der einer Farbfeld-Malerei entsprechenden graublauen Oberfläche, in sich leicht differenziert, zuweilen auch strukturiert, einen partiell geröteten Rand – hätten wir den am Körper, würden wir sofort zum Arzt rennen. Bei einigen Formen wechselt dieses Rot ins Blaue, das sich dann deutlicher von der Fläche abhebt. Blau ist auch eine Körperfarbe, muss hier nicht erinnert werden. Aber ehe wir anfangen zu spekulieren, ob diese Ränder den Wachstumsschmerz ausgelöst haben, ist es sinnvoll, das Werk als Malerei zu nehmen, dem eine zu enge und einseitige Deutung nicht gut tut. Denn tatsächlich haben diese unregelmäßig konturierten Scheiben ihren visuellen Reiz, und dem Betrachter steht es frei, in ihnen zu sehen, was seine Assoziationen provozieren.
Die Werkgruppe „Seltsame Dinge“ erscheint als eine Steigerung dieser „Wachstumsschmerzen“. Die Formen haben zwar auch die Anspielung auf das Runde, aber sie haben auch eine deutliche Einbuchtung, so dass die Assoziation „Insel“ nicht von der Hand zu weisen ist, auch wenn für die Künstlerin eine andere Ableitung gegeben war – der Schatten eines gebeugten Körpers zum Beispiel. Das ist insofern wichtig, als eine Beziehung zum Menschen angedeutet wird, die es vorher nicht gegeben hat. Freilich ist der Schattenriss bewusst unvollständig bzw. ausschnitthaft gehalten worden, er soll auch unmittelbar gar keine Beziehung zu einem Menschenschatten aufweisen, sondern seine ganze Unbenennbarkeit ausspielen, um eine Nähe zum Chaos anzudeuten. Folglich begnügt sich Jette Slangrod bei der Farbflächen-Malerei auch nicht mit einem Farbton; sie mischt mehrere auf einer Fläche und erhöht damit die vom Chaos vermittelte Unberechenbarkeit. Jede Form ist verschieden, Ähnlichkeiten sind rein zufälliger Natur. Dennoch lotet die Künstlerin hier die Randzone des Chaotischen aus, wenn sie manche dieser Formen stärker dem Kreis annähert und damit auch in der Kontur einer Ordnungsform nachspürt, die nicht vorhanden ist, die aber im Kopf des Betrachters spuken könnte.
Der Titel „Seltsame Dinge“ ist auch auf die beiden noch nicht ins Blickfeld gerückten Arbeitsgruppen anwendbar, aber um zu differenzieren hat die Künstlerin die einen „Portraits“ genannt und die anderen mit einem schwer deutbaren Begriff „Intramorphosen“ bezeichnet.
„Portrait“ ist nun ein ganz einfacher Titel, bis wir auf diese Bildformen gucken. Dann fehlen uns die Merkmale eines Portraits, die Personen bezogenen Formen des Gesichts, der Hände, der Körperhaltung. Jette Slangerod ist anders vorgegangen: Sie hat sich überlegt, welche Farben gehören zu dem Menschen, der ihr gegenüber steht. Diese tief empfundene Beziehung ist freilich nicht beweisfähig, also absolut unsicher und damit des Chaos kleiner Schwester Willkür nicht fern. Diese Unsicherheit wird noch verstärkt, weil der Ausstellungsbesucher die Personen nicht kennt, die hier nach ihrer Farbausstrahlung porträtiert werden. Also bleibt dem Besucher nur das Bild mit seinen faserigen Farbausläufern und seinen kontur-offenen Farbflächen. Der Titel „Portraits“ verführt dazu, in manchen Zufallsformen einen Kopf, eine Frisur, etwas auf Menschen Bezogenes zu entdecken – aber das ist nicht intendiert; es hat sich ergeben, während die empfundene Farbe aufgetragen und mit anderen gemischt wurde, und ist schon nicht mit einer bestimmten Person zu verbinden.
Nicht ganz entfernt in der Formgebung sind schließlich die Intramorphosen, Motive nach Wachsflecken in einem Schloss in Lettland, wo die Künstlerin während eines Symposions untergebracht war. Diese Wachsflecken stammen aus der vorelektrifizierten Zeit und haben sich auf dem Fußboden eingefressen, haben eine Zufallsform entwickelt und wurden von Jette Slangerod wiederentdeckt und wiederbelebt. Sie malt sie jeweils monochrom auf einen transparenten Untergrund, legt sechs Blätter unterschiedlicher Färbung übereinander und hängt sie so, dass Luft zwischen den Blättern bleibt, so dass sie einen. räumlichen Eindruck vermitteln. Ein Fundstück wird reanimiert.
Jette Slangerod deutet damit etwas an, was auf andere Weise auch schon oft versucht wurde – die Vergangenheit lebendig zu machen, sie über reine Erinnerung zur Form werden zu lassen. Die Auflösung des Bildes in seine farbigen Schichten, ohne dass es verloren geht. Ein echtes Erinnerungswerk.